Zur Unwirksamkeit längerfristiger Kündigungsverzichte von Wohnungsmietern
Der OGH (9 Ob 13/21h) hatte sich mit der Vereinbarung eines drei- bzw. fünfjährigen Kündigungsverzichts von Wohnungsmietern bei Anwendung des KSchG zu befassen und gelangte zu folgenden Beurteilungen:
- Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 Fall 2 KSchG sind für den Verbraucher solche Vertragsbestimmungen nicht verbindlich, nach denen sich der Unternehmer eine unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Frist ausbedingt, während deren der Verbraucher an den Vertrag gebunden ist.
- Im Lichte des § 6 Abs. 1 Z 1 Fall 2 KSchG ist eine sachliche Rechtfertigung für die nicht weiter nach erfolgten Investitionen oder anderen Parametern differenzierende Vereinbarung eines dreijährigen/fünfjährigen Kündigungsverzichts eines Wohnungsmieters nicht zu erkennen.
- Die bloße Sanierung einer Wohnung vor der Vermietung vermag eine derart lange Bindung des Mieters nicht zu rechtfertigen. Die Rechtsansicht, das Interesse des Mieters, auf massive Veränderungen in seiner eigenen Sphäre in zeitlich angemessener Frist reagieren und die für ihn oft existenziell bedeutsame Wohnungsfrage nach seinen Bedürfnissen regeln zu können, überwiege nach Lage des Falls das wirtschaftliche Interesse des Vermieters am langjährigen Bestand von Mietverhältnissen, ist daher nicht zu beanstanden.
- Die Rechtsprechung zur fehlenden Analogiefähigkeit des § 29 Abs. 2 MRG in Bezug auf unbefristete Mietverhältnisse ist im Hinblick auf eine Unzulässigkeit nach § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG nicht einschlägig.
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 Fall 2 KSchG sind für den Verbraucher besonders solche Vertragsbestimmungen im Sinne des § 879 ABGB jedenfalls nicht verbindlich, nach denen sich der Unternehmer eine unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Frist ausbedingt, während deren der Verbraucher an den Vertrag gebunden ist.
Bei der Prüfung, ob eine unangemessen lange Vertragsbindung gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 Fall 2 KSchG vorliegt, ist eine Gesamtwertung aller einschlägigen Vertragsumstände vorzunehmen. Die Interessen des Unternehmers auf Durchführung des Vertrags sind gegen die Interessen des Verbrauchers auf angemessene und feststellbare Erfüllungszeit abzuwägen. Die Angemessenheit der Frist richtet sich nach der Art des Geschäfts und den von redlichen Vertragsparteien üblicherweise vereinbarten Fristen. Die sachliche Rechtfertigung einer längeren Bindung des Verbrauchers an den Vertrag kann sich etwa auch aus dem Interesse des Unternehmers ergeben, aufgrund des Umfangs seiner Investitionen und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Risiko für länger klare Verhältnisse zu schaffen, um ihr kaufmännisches Risiko durch eine sachgerechte Kalkulation beschränken zu können.1 Dem gegenüber steht das Interesse des Verbrauchers an einer nicht allzu langen Bindungsfrist, weil sich nicht nur die gesellschaftlichen Lebensgewohnheiten, sondern auch die persönlichen Lebensumstände des Verbrauchers im Verlauf eines längeren Zeitraums erheblich ändern können.2 Diese Interessenabwägung kann naturgemäß immer nur aufgrund der Gesamtumstände des konkreten Vertragswerks beantwortet werden.
Sachverhalt
Die klagende Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte ist ein gemäß § 29 KSchG zur Erhebung von Unterlassungsansprüchen nach den §§ 28 f KSchG befugter Verband.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und bewirtschaftet (unter anderem) ihren Immobilienbesitz durch Vermietung und Verpachtung. Sie ist Eigentümerin von über 60 Wohnungen bzw. Geschäftslokalen in Wien.
Die Beklagte verwendete insbesondere im Vollanwendungsbereich des MRG im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern allgemeine Geschäftsbedingungen/Vertragsformblätter, die mehr als 40 von der Klägerin beanstandete Klauseln enthielten. Die Beklagte anerkannte das Unterlassungsbegehren mit Ausnahme dreier beanstandeter Klauseln, die wie folgt lauteten:
„4. Das Mietverhältnis beginnt am […] und wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Es kann von beiden Teilen unter Einhaltung einer jährlichen Kündigungsfrist zum Ende eines jeden Quartals gerichtlich aufgekündigt werden.
5a. Der Mieter verzichtet auf die Kündigung des Vertrages für die ersten drei Bestandsjahre.
5b. Der Mieter verzichtet auf die Kündigung des Vertrages für die ersten fünf Bestandsjahre.“
Zum Teil saniert die Beklagte die von ihr vermieteten Objekte und stattet diese neu aus, wodurch ihr laufende Fixkosten entstehen, zum Teil vermietet sie aber auch unsanierte Wohnungen unter Zugrundelegung der angeführten Klauseln. Die Beklagte schloss zwar seit April 2020 keine neuen Mietverträge ab; den bestehenden Mietverträgen liegen aber diese Klauseln nach wie vor zugrunde.
Das Berufungsgericht gab – in teilweiser Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts – dem Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren der Klägerin hinsichtlich der noch strittigen Klauseln statt. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mangels Vorliegens einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung – die Klauseln 5a bzw 5b betreffend – zur Frage zugelassen, inwieweit § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG der Vereinbarung eines (mehrjährigen) Kündigungsverzichts des Mieters entgegenstehe. Dem schloss sich die Beklagte zwecks Begründung der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels nach § 502 Abs. 1 ZPO an. Eine andere, die Klausel 4 bzw. das Veröffentlichungsbegehren betreffende erhebliche Rechtsfrage wird von ihr nicht geltend gemacht.
Rechtliche Beurteilung des OGH
a) Zur fehlenden erheblichen Rechtsfrage in der gegenständlichen Sache
Der OGH ist auch zur Auslegung von AGB-Klauseln nicht „jedenfalls“, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind.3 Demnach genügt für die Anrufbarkeit des OGH nicht schon der Umstand, dass es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Klauseln mangelt.4 Auch die bloße Häufigkeit der Verwendung strittiger Klauseln vermag die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.5
b) Eine sachliche Rechtfertigung für eine nicht weiter differenzierende Vereinbarung eines dreijährigen bzw. fünfjährigen Kündigungsverzichts ist nicht zu erkennen
Zum Sachverhalt: Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung hat das Berufungsgericht den wirtschaftlichen Nachteilen des Vermieters bei Mieterwechsel (etwa Suche nach einem neuen Mieter oder Kosten für notwendige Arbeiten am Mietgegenstand vor Neuvermietung) die wirtschaftlichen Nachteile des Mieters bei einem Wohnungswechsel (etwa Kosten für Übersiedlung oder Makler)6 gegenübergestellt. Dabei hat es berücksichtigt, dass ein Mietvertrag für den Verbraucher typischerweise von hoher wirtschaftlicher Bedeutung ist. Dem Mieter, der die Wohnung wegen einer Änderung seiner persönlichen Lebensverhältnisse nicht weiter benötigt, droht bei einer langen Bindung eine finanzielle Doppelbelastung, weil der alte Mietvertrag noch aufrecht ist, während ein neues Mietverhältnis bereits begründet ist.
Eine längerfristige Bindung an den Mietvertrag, die den Verbraucher im Ergebnis zur Zahlung doppelten Mietzinses verpflichten könnte, kann sehr rasch zu einer existenziell bedrohenden Einschränkung seiner wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit führen. Im Regelfall kommt dem Mieter bei Veränderung seiner Lebensumstände, die eine Änderung seiner Wohnsituation erfordern, auch kein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 1117 ABGB zu.7 Hingegen ist eine sachliche Rechtfertigung für die nicht weiter nach erfolgten Investitionen oder anderen Parametern differenzierende Vereinbarung eines dreijährigen/fünfjährigen Kündigungsverzichts nicht zu erkennen.
Zum Sachverhalt: Abgesehen davon, dass die Beklagte nach den bindenden Feststellungen auch unsanierte Wohnungen vermietet, kann die bloße Sanierung einer Wohnung vor der Vermietung eine derart lange Bindung des Mieters nicht rechtfertigen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das Interesse des Mieters, auf massive Veränderungen in seiner eigenen Sphäre in zeitlich angemessener Frist reagieren und die für ihn oft existenziell bedeutsame Wohnungsfrage nach seinen Bedürfnissen regeln zu können, überwiege nach Lage des Falls das wirtschaftliche Interesse des Vermieters am langjährigen Bestand von Mietverhältnissen, ist daher – insbesondere auch unter Heranziehung der aus § 29 Abs. 2 MRG hervorgehenden Wertungen – nicht zu beanstanden. Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine konkreten Umstände auf, die zu einer anderen Beurteilung dieser Interessenlage führen müssten.
c) Die Rechtsprechung zur fehlenden Analogiefähigkeit des § 29 Abs. 2 MRG in Bezug auf unbefristete Mietverhältnisse ist im Hinblick auf eine Unzulässigkeit nach § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG nicht einschlägig
Die Entscheidung 9 Ob 141/06k8, auf die die Beklagte ihre weitere Rechtsansicht stützt, dass im Anlassfall gar keine Interessenabwägung vorzunehmen sei, weil dies bereits der Gesetzgeber durch § 29 Abs. 2 MRG getan habe, ist nicht einschlägig. Darin wurde bloß ausgesprochen, dass eine analoge Anwendung der Kündigungsmöglichkeit befristeter Mietverträge des § 29 Abs. 2 MRG auf einen unbefristeten Bestandvertrag mit fünfjährigem Kündigungsverzicht des Mieters nicht in Betracht kommt. Mit der Angemessenheit der sich aus dem Kündigungsverzicht ergebenden Vertragsbindung vor dem Hintergrund des § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG setzte sich der OGH nicht auseinander.
d) Entscheidung des vorliegenden Falls
Zum Sachverhalt: Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den OGH nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO nicht zulässig und wird daher zurückgewiesen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs. 3 Satz 4 ZPO).
Anmerkungen
Gemäß § 29 Abs. 2 MRG kommt dem Mieter eines befristeten Wohnungsmietvertrags in der Voll- und in der Teilanwendung des MRG ab Ablauf eines Jahres der (gemäß § 29 Abs. 1 Z 3 lit b MRG jeweils mindestens dreijährigen) ursprünglich vereinbarten oder verlängerten Dauer des Mietverhältnisses das unverzichtbare und unbeschränkbare Recht zu, den Mietvertrag vor Ablauf der bedungenen Zeit jeweils zum Monatsletzten unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist gerichtlich oder schriftlich zu kündigen. Daraus ergibt sich für den Mieter eines befristeten Wohnungsmietvertrags in der Voll- und in der Teilanwendung des MRG ungeachtet einer jeweils mindestens dreijährigen vereinbarten Vertragsdauer eine Bindung an den Mietvertrag im Ausmaß von lediglich 16 Monaten.
Die Rechtsprechung9 hat bereits wiederholt eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 2 MRG auf unbefristete Vertragsverhältnisse abgelehnt und bei selbst einen fünfjährigen Kündigungsverzicht für zulässig und wirksam erklärt. Begründet wird dies damit, dass zwischen der Befristung des Mietverhältnisses, die dem Mieter mit dem Einritt des Termins die Wohn- oder Erwerbsmöglichkeit nimmt, und dem vertraglich erst geschaffenen Kündigungsverzicht, der nichts am Recht des Mieters ändert, im Mietobjekt weiter zu verbleiben, wertungsmäßig ein Unterschied bestehe.10
Nunmehr wird aber in Gestalt der vorliegenden Entscheidung die Zulässigkeit der Vereinbarung von längerfristigen (konkret: drei- bzw fünfjährigen) Kündigungsverzichten in Unternehmer-Verbraucher-Geschäften unter dem Titel des § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG für unwirksam erklärt, zumal im Rahmen der nach § 6 Abs. 1 Z 1 KSchG vorzunehmenden Interessenabwägung sehr wohl auf die Wertungen des § 29 Abs. 2 MRG Bedacht zu nehmen sei.
Die vorliegende Entscheidung hat gewiss große Auswirkungen auf die Vertragspraxis. Dem Vernehmen nach wurden nämlich bislang bei unbefristeten Wohnungsmietverträgen in der Voll- und in der Teilanwendung – bestärkt durch die bisherige Rechtsprechung – durchaus häufig Kündigungsverzichte des Mieters vereinbart.
Fraglich bleibt, ob die in der Entscheidung getroffene Beurteilung (wonach es für einen undifferenzierten drei- oder fünfjährigen Kündigungsverzicht des Wohnungsmieters keine sachliche Rechtfertigung gebe) nicht nur für die Vereinbarung von Kündigungsverzichten bei unbefristeten Wohnungsmietverträgen maßgeblich ist, sondern auch für Befristungen von Wohnungsmietverträgen außerhalb des MRG (insbesondere in sogenannten „Ein- oder Zwei-Objekthäusern“ gemäß § 1 Abs. 2 Z 5 MRG), bei welchen es das gesetzliche Kündigungsrecht des Mieters nach § 29 Abs. 2 MRG nicht gibt. Bejahendenfalls müssten mehrjährige Befristungen von Wohnungsmietverträgen außerhalb des MRG zwischen Unternehmern als Vermieter und Verbrauchern als Mieter ebenso als unwirksam qualifiziert werden, sofern dem Mieter nicht auf vertraglichem Wege ein mit § 29 Abs. 2 MRG vergleichbares Kündigungsrecht eingeräumt wird.
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9 Ob 69/11d Pkt. 3.1.; 7 Ob 73/15h Pkt. 3.2.; 4 Ob 110/17f Pkt. 2.; vgl RS0123616. ↩︎
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Vgl 3 Ob 132/15f Pkt 4.5. ↩︎
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RS0121516. ↩︎
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RS0121516 [T4]. ↩︎
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1 Ob 224/06g; RS0121516 [T38]. ↩︎
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An sich geht es aber nicht um die wirtschaftlichen Nachteile des Mieters bei einem Wohnungswechsel, sondern die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus der längerfristigen Bindung an einen Mietvertrag ergeben. ↩︎
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Vgl RS0102015. ↩︎
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Vgl RS0121742. ↩︎
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RS0121742. ↩︎
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9 Ob 141/06k, in welcher Entscheidung auch angemerkt wurde, dass eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 2 MRG in Wahrheit bedeuten würde, die Zulässigkeit bzw. Wirksamkeit eines Kündigungsverzichts des Mieters überhaupt zu verneinen, was aber eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung sei, die einen derartigen Kündigungsverzicht – von wem immer er auch abgegeben wurde – als wirksam erachte. ↩︎