Zu Ansprüchen gegen hereinwachsende Äste und Wurzeln
Der OGH (10 Ob 22/21i) hatte sich in einem rezenten Fall mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen von Liegenschaftseigentümern einerseits gegen Überhang und anderseits gegen Wurzelausläufer eines im Zuge einer Kraftwerkserrichtung auf der Nachbarliegenschaft geschaffenen Schlehdornbewuchses zu befassen und gelangte zu folgenden Schlüssen:
- Bei „hereinragenden“ Pflanzen gewährt der OGH Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 364 Abs. 2 ABGB einerseits dann, wenn es durch die Pflanzenteile im Sinne einer unmittelbaren Zuleitung zu einem die Güter des Nachbarn konkret gefährdenden und deshalb rechtswidrigen Zustand kommt, und zum anderen dann, wenn die Beeinträchtigung unter Bedachtnahme auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot die ortsübliche Benützung des Grundeigentums wesentlich beeinträchtigt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt. Allerdings sieht der OGH insofern einen Vorrang des Selbsthilferechts nach § 422 ABGB, als keine Ansprüche nach § 364 Abs. 2 ABGB bestehen, wenn der gefährdende bzw beeinträchtigende Zustand durch die Ausübung des Selbsthilferechts leicht und einfach beseitigt werden kann.
- Erweist sich eine Immission als unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB, kann ihr auch nicht im Sinne des § 364a ABGB die behördliche Bewilligung einer Anlage entgegengehalten werden.
- Vor diesem Hintergrund wurde im vorliegenden Fall das gegenständliche Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zum Überhang abgewiesen, weil die Klagebehauptungen keinen Schluss darauf zuließen, dass den Klägern die vorrangige Ausübung des Selbsthilferechts hinsichtlich des Überhangs (durch Abschneiden der Äste) unmöglich oder unzumutbar wäre oder dass sie bei Ausübung der Selbsthilfe im Wesentlichen in der gleichen beeinträchtigenden Situation verblieben. Hinsichtlich des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zu den Wurzelausläufern bzw. den daraus emporwachsenden Trieben vermisste der OGH noch Feststellungen darüber, ob durch die Wurzelausläufer ein die Kläger massiv beeinträchtigender Zustand vorliegt. Nur dann, wenn infolge einer konkreten Gefahr von Personenschäden die ortsübliche Nutzung des Gartengrundstücks wesentlich beeinträchtigt ist und dieser Zustand unzumutbar ist, sind die aus den Wurzelausläufern emporwachsenden Wurzeltriebe als unzulässige unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB zu qualifizieren.
Rechtlicher Hintergrund
Nach § 364 Abs. 2 Satz 1 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und (kumulativ) die ortsübliche Benutzung des Grundstücks dadurch wesentlich beeinträchtigt wird.1
Sofern dafür kein besonderer Rechtstitel vorliegt, ist eine unmittelbare Zuleitung nach § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB unter allen Umständen, also ohne die Einschränkungen der Wesentlichkeit und Ortsüblichkeit und unabhängig von einer behördlichen Genehmigung unzulässig.2 Demgegenüber sind Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundstücks hinzunehmen.3
Sofern dafür kein besonderer Rechtstitel vorliegt, können also unmittelbare Zuleitungen gemäß § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB vom Nachbarn unter allen Umständen abgewehrt werden, selbst wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen, es sei denn, die Genehmigung oder eine öffentlich-rechtliche Norm erlaubt gerade solche Eingriffe.4
Nach § 422 Abs. 1 ABGB kann jeder Eigentümer die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden entfernen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen. Die für die Entfernung der Wurzeln oder das Abschneiden der Äste notwendigen Kosten hat gemäß § 422 Abs. 2 Satz 1 ABGB der beeinträchtigte Grundeigentümer zu tragen.
Sachverhalt
Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet die Frage, ob die Kläger gegenüber der beklagten Marktgemeinde einen Anspruch auf Unterlassung des vom Grundstück der Marktgemeinde ausgehenden und auf das Grundstück der Kläger einwirkenden Schlehdornbewuchses, zum einen in Form eines Überhangs und zum anderen in Form von Wurzeltrieben, sowie auf Beseitigung dieses Bewuchses mit anschließender Rekultivierung des Grundstücks haben.
Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft mit dem Gartengrundstück, das sie zu Freizeitzwecken nutzen. Die beklagte Marktgemeinde ist Eigentümerin des im Norden an das Grundstück der Kläger angrenzenden Grundstücks, das entlang des Uferwegs im Nahebereich des 1999 in Betrieb genommenen Kraftwerks verläuft.
Auf dem Grundstück der Marktgemeinde befindet sich eine vor ca. 20 Jahren im Zuge des Kraftwerkbaus und der Gestaltung des Staubereichs gepflanzte – derzeit ca. 3 bis 4 m hohe – Hecke, die aus verschiedenen Wildsträuchern besteht, darunter auch Schlehdorn.
Die Kläger bringen vor, es komme zu einem massiven, ortsunüblichen Überwuchs von Schlehdornsträuchern auf ihr Grundstück. Darüber hinaus bildeten die Schlehdornsträucher in ihr Grundstück hineinwachsende, etwa sieben Meter lange Wurzelausläufer, aus denen neue Schlehdorntriebe entstünden, durch die sie sich zunehmend gestört fühlten.
Da Schlehdorn ein sehr festes und stacheliges Gehölz sei, seien der Rückschnitt und die Entfernung nicht besonders einfach. Außerdem führe dies nur zu noch intensiverer Wurzelbildung. Die aus den Wurzeln wachsenden neuen Triebe bildeten so harte Schäfte, dass die abgemähten Schäfte bereits mehrmals die luftgefüllten Reifen ihres Rasenmähers beschädigt hätten. Man könne sich auch Verletzungen an den Füßen zuziehen. Der massive Überwuchs und auch die ausgebildeten Wurzeltriebe seien als unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB anzusehen und zu unterlassen. Eine ortsübliche Benutzung der Liegenschaft als Garten sei nicht mehr möglich.
Durch das Unterlassen baumpflegerischer Maßnahmen habe die Marktgemeinde widerrechtlich in die geschützte Rechtsposition der Kläger als Liegenschaftseigentümer eingegriffen. In diesem Sinn werde begehrt, die beklagte Marktgemeinde schuldig zu erkennen, den von ihrer Liegenschaft ausgehenden Schlehdornbewuchs auf der klägerischen Liegenschaft zu unterlassen, den bestehenden Bewuchs sowie sämtliche vorhandenen Jungtriebe der Schlehdornhecke innerhalb der klägerischen Liegenschaft zu entfernen und anschließend die Rasenfläche zu rekultivieren.
Die beklagte Marktgemeinde bestritt
Sie wandte unter anderem ein, alle verwendeten Pflanzen seien heimisch und standortgerecht. Allfällige Probleme seien ausschließlich auf mangelnde Gartenpflege durch die Kläger zurückzuführen. Die anderen Nachbarn würden die überhängenden Heckenteile regelmäßig zurückschneiden, ohne über Probleme zu klagen. Die nachteiligen Folgen von Wurzelausläufern der Hecke könnten durch ortsübliches regelmäßiges Mähen des Rasens vermieden werden. Im Übrigen sei der Anspruch der Kläger verfristet bzw. verjährt.
Es bestehe kein Entfernungsanspruch, weil eine behördlich genehmigte Anlage (im Verbund mit dem Kraftwerk) vorliege.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab
Über die eingangs angeführten Feststellungen hinaus traf es zusammengefasst folgende Feststellungen: Schlehdornsträucher zählen zu den heimischen Pflanzenarten. Sie sind Teil der üblichen Mischungen für landseitige Kraftwerksböschungen. Sie entwickeln Dornen, deren Aushärtung im dritten Jahr abgeschlossen ist. Genetisch bedingt kommt es bei Schlehdornsträuchern zu einer starken Bildung von Wurzelausläufern, die spätestens zehn Jahre nach der Pflanzung beginnt. Aus den Wurzelausläufern entstehen Austriebe, die bereits im ersten Jahr eine Höhe von 30 cm bis 50 cm erreichen. Der Überhang der Hecke in das Grundstück der Kläger beträgt zirka 2 m und ist bei allen Straucharten etwa gleich breit. Im Bereich bis zu 7,5 m ab der Grundstücksgrenze findet sich eine große Anzahl von Schlehdorntrieben. Diese wachsen aus Wurzelausläufern, die von den Schlehdornsträuchern am Grundstück der Beklagten ausgehen. Hätten die Kläger ihr Grundstück nicht regelmäßig gemäht, wäre ein Teil davon bereits mit Schlehdornsträuchern zugewachsen.
Selbst bei regelmäßigem und sehr akkuratem Mähen kann es aber zu Austrieben kommen. Die abgemähten Triebe können zu einer (Körper-)Verletzung führen. Die Gummireifen eines Rasenmähers werden normalerweise aber nur durch ausgehärtete Dornen durchdrungen. Dies kann geschehen, wenn nach dem Schnitt der Hecke Äste von Schlehdornsträuchern in der Wiese liegen bleiben, sodass die darauf befindlichen Dornen senkrecht nach oben stehen. Gräbt man die Wurzelausläufer aus oder trennt sie ab, wachsen sie wieder nach, weshalb die Kläger das Ausgraben aufgegeben haben.
Zu verhindern wäre das Hereinwachsen von Wurzelausläufern nur durch Einarbeitung einer Wurzelbarriere. Diese besteht aus einer wurzelfesten Kunststofffolie, die etwa 60 bis 80 cm tief senkrecht in den Boden eingegraben wird. Zuvor müssen die vorhandenen Wurzelausläufer zu einem sehr großen Teil entfernt werden, wodurch die bestehende Wiese zerstört oder zumindest wesentlich geschädigt würde. Konkrete Schäden der Kläger wegen der Schlehdornhecke können nicht festgestellt werden.
Nach dem von der Marktgemeinde vorgelegten Auszug des Bewilligungsbescheids des Kraftwerks sollen für die Gestaltung der Uferlinie grundsätzlich nur Pflanzenarten des Verbreitungsgebiets verwendet werden. Für landseitige Dammflächen wurden in Punkt 17 des Bewilligungsbescheids des Kraftwerks Arten wie Buche, Esche, Vogelkirsche, Stieleiche, Bergulme, Feldahorn, Berberitze, Hartriegel, Weißdorn usw vorgeschlagen. Wäre bei der Pflanzung der Hecke berücksichtigt worden, dass diese nicht an eine freie Landschaft, sondern an einen Garten angrenzt, hätte man geeignetere Wildsträucher wählen können, die keine Wurzelausläufer bilden und von denen (nur) Auswirkungen wie etwa Samenflug oder Schadinsekten ausgegangen wären.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Aufzählung der im Bewilligungsbescheid des Kraftwerks auf landseitigen Böschungen zu verwendenden Pflanzenarten nur demonstrativ sei (was sich insbesondere aus der Verwendung der Abkürzung „usw“ ergebe). Da auch die – in der Aufzählung nicht enthaltenen – Schlehdornbüsche heimische und standortgerechte Gewächse seien, entspreche deren Verwendung dem Bewilligungsbescheid. Die Schlehdornhecke sei daher ein Teil der behördlich genehmigten Kraftwerksanlage. Infolge des erheblich gesteigerten öffentlichen Interesses am Betrieb des Kraftwerks seien Unterlassungsansprüche auch dann ausgeschlossen, wenn dem betroffenen Nachbarn keine verfahrensrechtliche Parteistellung eingeräumt worden sein sollte. Die Kläger hätten daher weder Anspruch auf Unterlassung noch auf Beseitigung. Überdies sei die Hecke ortsüblich.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts in eine klagestattgebende Entscheidung ab
In Abänderung der Feststellungen des Erstgerichts traf es aufgrund des von der Marktgemeinde vorgelegten Auszugs aus dem Bewilligungsbescheid des Kraftwerks die Negativfeststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Pflanzung über behördlichen Auftrag entsprechend den Vorgaben lege artis mit einer Mischhecke (die vereinzelt auch Schlehdorn umfasst) erfolgt ist. Ausgehend davon zog das Berufungsgericht den rechtlichen Schluss, dass der beklagten Marktgemeinde und der Nebenintervenientin der Nachweis dafür misslungen sei, dass eine behördlich bewilligte Anlage im Sinne des § 364a ABGB vorliege und deshalb allfällige Störungen zu dulden seien. Ähnlich wie Kletterpflanzen, die sich an einer Mauer zwangsläufig emporranken, stellten auch die infolge ihrer genetischen Eigenschaften bis zu 7,5 m langen Wurzelausläufer der Schlehdornsträucher eine unzulässige unmittelbare Zuleitung dar, weil sie trotz üblicher Gartenpflegemaßnahmen zu Verletzungen führen können. Den Klägern stehe daher ein Unterlassungsanspruch und ein Beseitigungsanspruch zu. Letzterer umfasse auch untergeordnete Hilfstätigkeiten wie die Rekultivierung des Rasens.
Die beklagte Marktgemeinde sei passiv legitimiert, weil sie den beeinträchtigenden Zustand, der nicht auf höhere Gewalt oder auf unbefugte Eingriffe eines Dritten zurückzuführen sei, trotz zahlreicher Beschwerden der Kläger aufrechterhalten habe. Der Einwand der Verfristung bzw. Verjährung gehe ins Leere, weil nachbarrechtliche Ansprüche nach § 364 Abs. 2 ABGB – als Anwendungsfall der negatorischen Eigentumsklage – grundsätzlich nicht verjährbar seien.
Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit € 5.000, nicht aber € 30.000 übersteigend und ließ die Revision unter anderem mit der Begründung zu, die bisherige Rechtsprechung des OGH zur unmittelbaren Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB sei uneinheitlich.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der beklagten Marktgemeinde mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu der Revision nicht Folge zu geben und das klagestattgebende Urteil des Berufungsgerichts zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung des OGH
a) Zum Vorbringen der beklagten Marktgemeinde in der Revision
Zum Sachverhalt: Die beklagte Marktgemeinde macht in der Revision geltend, dass die Hecke sehr wohl Teil einer behördlich bewilligten Anlage sei. Einen darauf bezogenen Beweisantrag habe das Berufungsgericht außer Acht gelassen, was eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründe. Im Übrigen stehe nicht fest, dass der Überhang zu einer erheblichen Gefahr von Sachschäden oder für Leib oder Leben führe und dass er nicht durch zumutbare Selbsthilfemaßnahmen beseitigbar wäre. Auch bei den Wurzelausläufern handle es sich nicht um eine unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB, sondern um einen über die Grundgrenze hinausgehenden gewöhnlichen Bewuchs, der – ähnlich wie der Bewuchs durch Löwenzahn, Weiden oder Essigbäume – ständige Maßnahmen des Menschen erfordere, um nicht zu einem Verwildern der Freifläche zu führen. Ein Verfahrensmangel sei auch darin gelegen, dass die zeugenschaftliche Einvernahme einer Nachbarin zum Beweis dafür unterblieben sei, dass bei regelmäßigem Mähen keine nachteiligen Folgen durch Wurzelausläufer gegeben seien und insbesondere keine Verletzungsgefahr durch die abgemähten Schäfte der Triebe bestehe.
b) Zum Verhältnis der unmittelbaren Zuleitung gemäß § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB zum Selbsthilferecht nach § 422 ABGB
Zum Sachverhalt: Die Kläger stützen ihr Begehren auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere auf die Bestimmungen des ABGB. Konkret nennen sie als Anspruchsgrundlage für ihr Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren die Qualifikation der Einwirkungen auf ihr Grundstück (in Form des Überhangs und der Wurzeltriebe) als „unmittelbare Zuleitung“ im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB. Nach Ansicht der beklagten Marktgemeinde handelt es sich dagegen bei diesen Einwirkungen um bloß mittelbare Immissionen, so genannte „Imponderabilien“ (§ 364 Abs. 2 Satz 1 ABGB).
Unter einer unmittelbaren Zuleitung gemäß § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB ist eine direkte, gerade auf das Nachbargrundstück gerichtete Einwirkung zu verstehen.5 Durch eine dem Liegenschaftseigentümer zuzurechnende Änderung der natürlichen Gegebenheiten (eine „Veranstaltung“) werden Immissionen auf das Nachbargrundstück bewirkt.6
Das Herüberwachsen(lassen) von Wurzeln und Ästen ist in der Regel nicht als unmittelbare Zuleitung zu qualifizieren7, weil es an einem menschlichen Zutun fehlt. Allerdings hat die Rechtsprechung beispielsweise auch das zwangsläufige und überdies beabsichtigte Emporranken von Kletterpflanzen (Veitschi) an einer im Eigentum des Nachbarn stehenden Grenzmauer als Eigentumseingriff im Sinn einer unmittelbaren Zuleitung qualifiziert.8 Auch kann aus einem bloßen Naturwirken durch bewusstes Aufrechterhalten dieses Zustands eine unmittelbare Zuleitung werden, falls dadurch eine Gefährdung für Personen und Sachen begründet wird.9
Mit der „Ahornbaum-Entscheidung“10 und der „Starkast-Entscheidung“11 hat sich die Rechtsprechung von der früher angenommenen Exklusivität des § 422 ABGB für den Fall des Herüberwachsens von Wurzeln und Ästen abgewendet.
Zur Rechtslage vor dem ZivRÄG 200412 war judiziert worden, dass § 422 ABGB die Rechte des Nachbarn bezüglich des Überhangs und des Wachsens von Wurzeln in den fremden Grund abschließend regelt.
Über das in § 422 ABGB normierte Selbsthilferecht hinaus hatte der Nachbar demnach nicht die Möglichkeit, ein auf sein Eigentumsrecht gestütztes Begehren auf Beseitigung des Überhangs durch den Eigentümer des Baums oder Strauchs zu stellen.13 Auch das Belassen von über die Grundgrenze gewachsenen Wurzeln oder überhängenden Ästen durch den Baumeigentümer verstieß nicht gegen § 422 ABGB und war insoweit auch nicht rechtswidrig.14
Nach dem Inkrafttreten des ZivRÄG 2004 hat die den Anwendungsbereich des § 364 ABGB für bestimmte, zuvor allein dem § 422 ABGB unterstellte Sachverhaltskonstellationen geöffnet.15
Bei „hereinragenden“ Pflanzen gewährt der OGH nun Ansprüche nach § 364 ABGB einerseits dann, wenn es durch die Pflanzenteile zu einem die Güter des Nachbarn konkret gefährdenden und deshalb rechtswidrigen Zustand kommt, und zum anderen dann, wenn die Beeinträchtigung unter Bedachtnahme auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot die ortsübliche Benützung des Grundeigentums wesentlich beeinträchtigt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt.16
Allerdings sieht der OGH insofern einen Vorrang des § 422 ABGB, als keine Ansprüche nach § 364 ABGB bestehen, wenn der gefährdende bzw. beeinträchtigende Zustand durch die Ausübung des Selbsthilferechts leicht und einfach beseitigt werden kann.17
Um § 422 ABGB nicht völlig zu entwerten, kann diese Voraussetzung für Ansprüche nach § 364 ABGB erst dann angenommen werden, wenn die Ausübung des (vorrangigen) Selbsthilferechts unmöglich, unzumutbar erschwert oder nicht zielführend ist, weil der Nachbar auch bei Ausübung der Selbsthilfe im Wesentlichen in der gleichen beeinträchtigenden Situation verbliebe.
Diese Sonderkonstellationen ändern jedoch nichts daran, dass im Allgemeinen das Herüberwachsen von Ästen und Wurzeln über die Grundgrenze auch weiterhin nicht untersagt werden kann.
Die Behauptungs- und Beweislast für Umstände, die die Qualifikation als unmittelbare Zuleitung tragen, trifft nach allgemeinen Grundsätzen die durch die Einwirkung Belasteten.
Zum Sachverhalt: Das sind im vorliegenden Fall die Kläger.
c) Konkreter Fall: Zum Klagebegehren auf Unterlassung und Beseitigung des Überhangs
Zum Sachverhalt: Die Kläger haben zum Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren vorgebracht, dass der massive Überwuchs der (derzeit 4 m hohen Schlehdornhecke) von bis zu 1,50 m auf ihr Grundstück als unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB anzusehen sei. Da es sich bei der Schlehdornhecke um ein sehr festes, stacheliges Gehölz handle, könne dieses auch nicht besonders einfach zurückgeschnitten und entfernt werden.
Schon aus den folgenden zwei Gründen besteht keine Haftung der beklagten Marktgemeinde nach § 364 Abs. 2 ABGB: Die Klagebehauptungen lassen keinen Schluss darauf zu, dass den Klägern die vorrangige Ausübung des Selbsthilferechts hinsichtlich des Überhangs (durch Abschneiden der Äste) unmöglich oder unzumutbar wäre oder dass sie bei Ausübung der Selbsthilfe im Wesentlichen in der gleichen beeinträchtigenden Situation verblieben. Auch wenn die Ursache für den Überhang in der Bepflanzung des Grundstücks der beklagten Marktgemeinde liegt, zeigt die Wertung des § 422 ZPO, dass in erster Linie die Abhilfe vom eigenen Grund aus gesucht werden muss. So wie auch sonst die natürliche Umgebung ist der Überwuchs hinzunehmen bzw. durch Selbstabschneiden einzudämmen.
Zum Sachverhalt: Darüber hinaus gibt es auch keine Hinweise darauf, dass den Klägern die Nutzung des Gartengrundstücks unmöglich geworden wäre oder dass (allein) vom Überhang der Schlehdornäste die Gefahr von Sach- oder Personenschäden ausginge. Die nach den Feststellungen gegebene (bloße) Möglichkeit, dass die Reifen eines Rasenmähers beschädigt werden könnten, wenn nach dem Schnitt des Überhangs die (mit Dornen behafteten) Äste der Schlehdornsträucher vor dem Mähen nicht aus der Wiese entfernt würden, bildet eine rein abstrakte, durch einfache Maßnahmen vermeidbare Gefahr, die zur Begründung eines nachbarrechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs nicht ausreicht.
Aus diesen Gründen ist der Revision der beklagten Marktgemeinde im Umfang der Abweisung des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens betreffend den Überhang dahin Folge zu geben, dass das Klagebehren in diesem Umfang – im Ergebnis in teilweiser Wiederherstellung des Ersturteils – abgewiesen wird.
d) Konkreter Fall: Zum Klagebegehren auf Unterlassung und Beseitigung der aus den Wurzelausläufern emporwachsenden Wurzeltriebe
Zum Sachverhalt: Nach den Feststellungen sind die Wurzelausläufer der Schlehdornsträucher durch einfache Selbsthilfemaßnahmen wie Abhacken oder Ausgraben nicht zu entfernen, weil sie genetisch bedingt nachwachsen. Nach dem Standpunkt der Kläger besteht die Gefahr (konkreter) Sachschäden darin, dass es trotz der dagegen gerichteten einfachen Selbsthilfemaßnahme des regelmäßigem Mähens zu Austrieben aus den Wurzelausläufern kommen kann und die Schäfte dieser Austriebe so hart werden, dass die luftgefüllten Räder eines Rasenmähers durchstochen werden können (was bereits mehrfach geschehen sei).
Nach den von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen hat sich aber weder die konkrete Gefahr derartiger Sachschäden noch deren Eintritt feststellen lassen. Ob die konkrete Gefahr von Personenschäden durch die (hartgewordenen) Schäfte der Wurzelaustriebe zu befürchten ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Das Erstgericht hat dazu bisher (aufgrund des Gutachtens des Gerichtssachverständigen für Gartenbau und Landschaftspflege) die Feststellung getroffen, dass die abgemähten Schlehdorntriebe zu einer Verletzung führen können. Die Revisionswerberin macht geltend, sie habe im erstinstanzlichen Verfahren die Einvernahme einer Zeugin (einer Nachbarin der Kläger) zum Gegenbeweis beantragt. Das Unterbleiben der Einvernahme dieser Zeugin bildet einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel, den die in erster Instanz obsiegende Beklagte zulässigerweise auch noch im Revisionsverfahren geltend machen kann.18 Insofern erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.
Soweit die Kläger zur Anspruchsbegründung geltend machen, sie fühlten sich durch die aus den Wurzelausläufern hervorwachsenden Triebe zunehmend gestört, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung einer Beeinträchtigung ein objektiver Maßstab anzulegen ist19, ließe sich doch sonst die sachenrechtliche Abgrenzung der Befugnisse benachbarter Grundeigentümer nicht sinnvoll bewerkstelligen.20 Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Betroffenen befindet.21
Dazu, ob durch die Wurzelausläufer ein die Kläger massiv beeinträchtigender Zustand vorliegt, fehlen ausreichende Feststellungen. Nur dann, wenn das ergänzte Beweisverfahren zu Feststellungen führt, aus denen sich ergibt, dass – unter Bedachtnahme auf die gebotenen Selbsthilfemaßnahmen – infolge einer konkreten Gefahr von Personenschäden die ortsübliche Nutzung des Gartengrundstücks wesentlich beeinträchtigt ist und dieser Zustand unzumutbar ist, sind die aus den Wurzelausläufern emporwachsenden Wurzeltriebe als unzulässige unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB zu qualifizieren, sodass den Klägern insoweit ein Immissionsabwehranspruch zusteht.
e) Zum Einwand der behördlichen Bewilligung einer Anlage gemäß § 364a ABGB
Zum Sachverhalt: Eine Qualifikation als unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB hätte auch insofern weitergehende rechtliche Auswirkungen, weil ihr allenfalls die behördliche Bewilligung der Anlage nicht entgegengehalten werden kann. Selbst wenn eine bewilligte Anlage im Sinn des § 364a ABGB vorliegt, müssten daher die Kläger über die aus dieser Gesetzesstelle resultierende Duldungspflicht hinaus eine unmittelbare Zuleitung nur hinnehmen, wenn ein besonderer Rechtsgrund dafür vorliegt. Im Fall der Qualifikation der aus den Wurzelausläufern hervorwachsenden Triebe als unmittelbare Zuleitung im Sinne des § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB ist daher weiters – zweckmäßigerweise nach Erörterung mit den Parteien – zu klären, ob ein besonderer Rechtsgrund für die unmittelbare Zuleitung vorliegt.
f) Entscheidung des vorliegenden Falls
Zum Sachverhalt: Zusammenfassend ist der – zulässigen – Revision hinsichtlich des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zum Überhang mit Teilurteil dahin Folge zu geben, dass in diesem Umfang das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird. Hinsichtlich des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens zu den Wurzelausläufern bzw. den daraus emporwachsenden Trieben erweist sich die Revision im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens als berechtigt.
Anmerkungen
Zu beachten ist, dass neben den hier thematisierten Ansprüchen gegen von der Nachbarliegenschaft hereinwachsende Äste und Wurzeln (§ 422 ABGB bzw. auch § 364 Abs. 2 ABGB) mit dem ZivRÄG 200422 auch ein Abwehranspruch gegen negative Immissionen (Entzug von Licht oder Luft) durch Pflanzen auf der Nachbarliegenschaft geschaffen wurde: Gemäß § 364 Abs. 3 ABGB kann der Grundstückseigentümer einem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft insoweit untersagen, als diese das ortsübliche Maß überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen.
Hierbei muss aber zwingend der Versuch einer Streitbeilegung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens unternommen werden: Ein Nachbar hat gemäß Art III Z 1 ZivRÄG 2004 vor der Einbringung einer Klage im Zusammenhang mit dem Entzug von Licht oder Luft durch fremde Bäume oder Pflanzen zur gütlichen Einigung eine Schlichtungsstelle zu befassen, einen Antrag nach § 433 Abs. 1 ZPO (prätorischer Vergleich) zu stellen oder – sofern der Eigentümer der Bäume oder Pflanzen damit einverstanden ist – den Streit einem Mediator zu unterbreiten. Die Klage ist nur zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von drei Monaten ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens, ab Einlangen des Antrags bei Gericht oder ab Beginn der Mediation eine gütliche Einigung erzielt worden ist.
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RS0010587 [T4]. ↩︎
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Vgl 4 Ob 57/20s mit weiteren Nachweisen. ↩︎
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RS0010635 [T12]. ↩︎
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RS0010528; RS0010683; 1 Ob 206/15y. ↩︎
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RS0010635. ↩︎
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RS0010635 [T12]. ↩︎
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8 Ob 79/13w; ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 15. ↩︎
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6 Ob 255/00v; RS0010327; RS0010608. ↩︎
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4 Ob 43/11v [Abbruch eines etwa 15 m langen Starkastes von einer Stieleiche]. ↩︎
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4 Ob 196/07p [16-17 m hohe Ahornbäume mit in ihrem oberen Bereich bis zu vier Meter auf das Nachbargrundstück überhängenden Ästen und Kronenteilen]. ↩︎
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4 Ob 43/11v. ↩︎
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BGBl I 2003/91. ↩︎
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R0011097. ↩︎
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RS0011093 [T3]. ↩︎
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Siehe 6 Ob 85/10h und 10 Ob 58/14y; RS0011097 [T2]; RS0122902. ↩︎
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Vgl 4 Ob 196/07p; 4 Ob 43/11v; RS0127359. ↩︎
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4 Ob 63/13p; 10 Ob 47/13d; RS0122902. ↩︎
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RS0042740 [T47]. ↩︎
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RS0010583. ↩︎
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6 Ob 247/20x [Rz 24]. ↩︎
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RS0010607. ↩︎
-
BGBl I 2003/91. ↩︎